Zitat Innenminister Peter Beuth:
„Die Terrortat vom 19. Februar 2020 in Hanau hat unser gesamtes Bundesland tief erschüttert. Der Verlust geliebter Menschen kann durch nichts aufgewogen werden. Der mutmaßliche Mörder Tobias R. hat sich einer Bestrafung und umfangreichen Aufarbeitung dieser schrecklichen Taten durch einen öffentlichen Prozess mit seinem Suizid entzogen. Für in dieser Nacht verletzte Opfer, Hinterbliebene und Angehörige ist es darüber hinaus schmerzlich, dass sie den mutmaßlichen Täter nicht in einem rechtsstaatlichen Verfahren mit diesen fürchterlichen Verbrechen konfrontieren können.
Die Generalbundesanwaltschaft hat das Ermittlungsverfahren am 20. Februar 2020 übernommen und das Bundeskrimimalamt beauftragt, zu prüfen, ob der mutmaßliche Täter Tobias R. alleine für die Morde von Hanau verantwortlich war. Das Polizeipräsidium Südosthessen unterstützt die Bundesbehörden bei diesen Ermittlungen, indem es alle eigenen Erkenntnisse aus der Tatnacht und bezüglich des mutmaßlichen Täters an die seitdem zuständigen Strafverfolgungsbehörden übergeben hat. Weder die hessische Polizei noch das Hessische Innenministerium können aufgrund der nach wie vor laufenden Ermittlungen umfänglich zu konkreten Fragen, die die Tatnacht betreffen, Auskunft geben. Sowohl der Generalbundesanwalt als auch die Hessische Landesregierung haben gleichwohl zugesagt, dass sie nach Beendigung des rechtsstaatlichen Verfahrens mit den Opfern, Hinterbliebenen und ihren Vertretern alle wichtigen Erkenntnisse der Strafverfolgungsbehörden teilen werden.
In den letzten Tagen wurden erneut Fragen zur Tatnacht von Hanau aufgeworfen. Die Bundesanwaltschaft, die hessische Polizei und ich haben zahlreiche dieser Fragen bereits im Mai 2020 in einer öffentlichen Sitzung des Hessischen Landtags, der auch Opfer, Hinterbliebene und ihre Vertreter beigewohnt haben, beantwortet. Aus noch laufenden Ermittlungen derart tiefgehende Mitteilungen zu machen, ist für die Strafverfolgungsbehörden ein schwieriger Spagat zwischen dem berechtigten Informationsbedürfnis Betroffener und einem rechtsstaatlichen Verfahren. Angesichts der Schwere der Tat und dem verständlichen Wunsch der Angehörigen nach Antworten war es geboten und angemessen.
Nach meinem Kenntnisstand hat die hessische Polizei nach dem Eingang erster Notrufe unmittelbar gehandelt und war innerhalb von nur ein bis zwei Minuten am ersten Tatort am Heumarkt. Am Tatort in Hanau-Kesselstadt trafen polizeiliche Kräfte drei bis vier Minuten nach der Meldung per Notruf ein. Es ist richtig, dass die Polizeistation in Hanau nur eine begrenzte Anzahl von Anrufen in dieser Nacht entgegennehmen konnte. Das gesamte Notrufaufkommen für die Polizeistation Hanau beträgt täglich durchschnittlich 80 Anrufe. Eine Weiterleitung von vielen gleichzeitig eintreffenden Notrufen war zum Zeitpunkt der Tatnacht technisch nicht möglich. Mit dem Umzug des Polizeipräsidiums Südosthessen in die neue Dienststelle wird eine Zentralisierung aller polizeilichen Notrufe des Zuständigkeitsbereichs in einer Leitstelle realisiert. Dies ist bereits in allen anderen hessischen Polizeipräsidien umgesetzt worden. Der notwendige Modernisierungsschritt war auch bereits im Polizeipräsidium Südosthessen als letztes noch verbliebenes Präsidium angestoßen aber aufgrund baulicher wie technischer Voraussetzungen noch nicht vollendet worden.
In allen anderen Polizeipräsidien wurden die dezentralen Notrufabfragestellen in den Jahren 2016 bis 2018 schrittweise deaktiviert und die Notrufe sukzessive zentral in der Leitstelle des jeweils zuständigen Polizeipräsidiums integriert, nachdem dort die technischen und organisatorischen Voraussetzungen für die Zentralisierung des Notrufes 110 geschaffen waren. Die hierzu erforderlichen räumlichen Kapazitäten mussten in den Einsatzleitstellen teilweise auch durch bauliche Maßnahmen geschaffen werden. Eine frühere Zentralisierung des Notrufs im Polizeipräsidium Südosthessen war und ist in den vorhandenen Räumen des alten Polizeipräsidiums nicht möglich. Um sicherzustellen, dass mehr Notrufe in Hanau, aber auch in allen anderen Dienststellen des Polizeipräsidiums Südosthessen, bei einer herausragenden polizeilichen Lage entgegengenommen werden können, wurde ein Weiterleitungskonzept an das Polizeipräsidium Frankfurt entwickelt, das noch in diesem Monat fertiggestellt werden soll.
Bezüglich der immer wiederkehrenden Behauptung, der Notausgang in der Arena-Bar sei auf polizeiliche Anweisung verschlossen gewesen, stelle ich fest, dass dies nicht den Tatsachen entspricht. Die hessische Polizei würde niemals Anweisungen erteilen, die den Gesetzen zuwiderlaufen. Im Gegenteil: Die Polizei hat das zuständige Gewerbeamt der Stadt Hanau zuletzt im Jahr 2017 darauf hingewiesen, dass der Notausgang zum Zeitpunkt einer damaligen Gaststättenkontrolle unerlaubterweise verschlossen war. Das ist aktenkundig. Welche Maßnahmen der Stadt daraufhin ergriffen wurden, entzieht sich meiner Kenntnis. Die Kontrolle zur Einhaltung derartiger Verstöße obliegt der Stadt. Seitens der Polizei gab es jedenfalls keine wie auch immer geartete polizeiliche Weisung diesen Fluchtweg zu versperren.“
Darüber hinaus möchten wir Sie in diesem Zusammenhang auf folgende aktuelle Informationen des Polizeipräsidiums Südosthessen hinweisen:
Zur Tatnacht
Zum Ereignis vom 19.02.2020 ist anzumerken, dass nach Bekanntwerden der ersten Schüsse gegen 21.58 Uhr Einsatzkräfte unmittelbar zum Tatort Heumarkt/Krämerstraße entsandt wurden. Diese Kräfte trafen ein bis zwei Minuten später am Tatort ein und führten unmittelbar nach ihrem Eintreffen Maßnahmen des „Ersten Angriffs“ durch. Dies sind z.B. die Sicherstellung der medizinischen Erstversorgung der Verletzten, Absperr-, Tatortsicherungs- und Fahndungsmaßnahmen sowie erste Zeugenbefragungen. Nach dem Eingang von Notrufen gegen 22.05 Uhr wurden weitere Kräfte in die Einsatzmaßnahmen eingebunden. Die ersten Kräfte trafen etwa drei bis vier Minuten nach den Notrufen am Kurt-Schumacher-Platz ein und führten ebenfalls nach ihrem Eintreffen sofort Maßnahmen durch. Bei den unmittelbar eingeleiteten polizeilichen Erstmaßnahmen waren alle verfügbaren Kräfte des Polizeipräsidiums Südosthessen eingebunden. Darüber hinaus unterstützten Kräfte aus den Polizeipräsidien Frankfurt am Main, Mittelhessen, Südhessen, der hessischen Bereitschaftspolizei sowie des Polizeipräsidiums Unterfranken. Bis kurz nach Mitternacht gingen insgesamt 25 Notrufe mit Bezug zum Anschlagsgeschehen in Hanau ein. Die Sicherung von Notrufen erfolgt nur im Bedarfsfall und wird manuell durchgeführt. Die Sicherung der entsprechenden Notrufe für das Verfahren zum Tatgeschehen ist erfolgt. Neben der Schilderung des Sachverhalts durch den Anrufenden wird bei jedem Notruf dessen Personalien sowie die Erreichbarkeit erfragt und dokumentiert. Teilweise besteht auch der Bedarf, Notrufe über eine längere Zeit zu halten, wenn der Anrufende fortgesetzt Beobachtungen mitteilen kann.
Zur Frage nach dem Notausgang der „Arena Bar“
Durch die Polizei ergeht niemals eine Weisung oder Aufforderung, Notausgänge zu verschließen oder auf andere Weise zu versperren. Im Gegenteil werden bei Erkennen derartiger Verstöße umgehend die zuständigen Stellen von uns informiert. Die konkreten Umstände zum Notausgang in der Arena Bar zum Zeitpunkt des Tatgeschehens am 19.02.2020 sind Gegenstand eines laufenden Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Hanau. Bislang hat das Polizeipräsidium Südosthessen deshalb hierzu keinerlei Auskunft getätigt. Aufgrund der wiederholten medialen Aufbereitung dieser Thematik und einer damit verbundenen, immer schärfer werdenden Vorwurfslage gegenüber der Polizei im Allgemeinen und dem Polizeipräsidium Südosthessen im Besonderen, ist festzuhalten, dass der Umstand der verschlossenen Notausgangstür in der Arena Bar bei einer früheren Gaststättenkontrolle am 20. November 2017 festgestellt und dem zuständigen Gewerbeamt der Stadt Hanau mit Schreiben vom 24.11.2017 mitgeteilt wurde. Zu darüber hinaus erfolgten Maßnahmen kann das Polizeipräsidium keine Angaben machen.